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Verachtung gebiert Verachtung

Björn Freter, Dozent für Weltphilosophie, SOAS Universität London


Speziezismus, so scheint es, wird noch immer als ein eher randständiges Problem wahrgenommen. Vielleicht erscheint es merkwürdig, neben all dem, was uns alltäglich plagt, auch noch um die Not von Hühnern, Schweinen oder Lachsen besorgt sein zu müssen. Diese Großzügigkeit ist gefährlich. Sie ist zunächst gefährlich, genauer gesagt, lebensgefährlich, für all die nicht-menschlichen Tiere, die ausgebeutet, gequält und ermordet werden. Und diese Verächtlichkeit ist für uns selbst, uns menschliche Tiere, gefährlich. Verachtung, wenn sie von einer Gesellschaft in einer Form akzeptiert wird, so wie es für den Speziesismus weithin der Fall ist, wird sehr wahrscheinlich auch in anderen Formen zur Wirklichkeit kommen. Die Grenze, die das, was zu Recht verachtet wird, von dem trennt, das nicht zu verachten ist, ist dabei radikal willkürlich. Und weil diese Grenze willkürlich ist, kann sie auch willkürlich verschoben werden oder willkürlich um andere Grenzen ergänzt werden. Das Setzen solcher Grenzen wird damit zum Vorrecht der Mächtigen – worin immer diese Macht bestehen mag. Was für ein merkwürdiger Regress zum Prinzip des auctoritas, non veritas, facit legem („Macht, nicht Wahrheit schafft das Gesetz", Thomas Hobbes, Leviathan, 1668).

Es ist schlechthin nicht zu rechtfertigen, weshalb nicht-menschliche Tiere weniger Wert sein sollten als menschliche Tiere. Das bedeutet freilich nicht zu behaupten, dass es zwischen diesen beiden keine Unterschiede gäbe. Aber weshalb sollten diese Unterschiede, normative Konsequenzen haben? Selbst wenn sie ein Verhältnis der Unterdrückung des einen durch den anderen ermöglichen. Die Unterdrückung von nicht-menschlichen Tiere durch menschliche Tiere oder die Unterdrückung von weiblichen Menschen durch männliche Menschen hat sich als möglich erwiesen. Die Möglichkeit dieser Wirklichkeit allerdings legitimiert in keiner Weise das zu tun, was diese Möglichkeit zu Wirklichkeit werden lässt. Wenn das Möglich-Sein legitimierende Kraft hätte, könnte Nicht-Unterdrückung mit derselben Argumentation begründet werden, denn Nicht-Unterdrückung ist gewiss auch mögliche Wirklichkeit. Hier finden wir einen der bedeutsamsten Fingerzeige über die stillen Interessen derer, die verachten. Verachtung ist durch Selbstinteresse bewegt, durch den Willen, superior, überlegen zu sein. Den Willen, das zu haben, das ein anderer hat. Und den Willen, sich nicht mit dem Schmerz des vermeintlich inferioren, unterlegenen Anderen belasten zu müssen.

Verachtung ist nicht immer einfach zu erkennen und es ist nicht immer unstrittig, ob eine gewisse Praxis verächtlich ist oder nicht. Aber müssen wir nicht hier anfangen? Eine Praxis der Verachtung zu vermeiden, wird uns langfristig kaum weiterbringen, solange Verachtung als solche nicht gesellschaftlich und/oder politisch sanktioniert wird. Wenn eine Gesellschaft eine Form der Verachtung akzeptiert, dann akzeptiert sie willkürliche normative Herabsetzung, dann akzeptiert sie Verachtung als solche. Und diese Verachtung kann sie endlich gegen jeden Menschen, jede Idee, jede Entität richten. Wenn es akzeptiert ist normativ zu inferiorisieren, i.e. andere zu verachten, dann gibt es keinen überzeugenden Grund – abgesehen von müden Referenzen auf Konventionen, Traditionen, dem (kontingenten) Lauf der Geschichte und ähnlich zahnlosen Argumenten –, warum es nicht gestattet sein sollte, Verachtung zu zeigen gegenüber einer buddhistischen Person, einem weiblichen Menschen, einer Person mit Behinderung, einer Kuh, einem Hering, der Idee sozialer Gerechtigkeit oder gegenüber was auch immer. Willkür kennt kein Argument gegen weitere Willkür.

Mit einem Schlage können wir jetzt verstehen, dass speziesistische Verachtung ein Problem ist, welches zu marginalisieren wir uns recht eigentlich nicht erlauben können. In einer Gesellschaft, in der eine Verachtung gedeihen kann, wird, früher oder später, eine andere Verachtung auch gedeihen. Es gibt eine Verbindung zwischen all den Superiorismen – seien sie der sexistischen oder rassistischen oder irgendeiner anderen Art. Wenn wir uns gestatten, bestimmte Praktiken normativer Willkür zu tolerieren, wie eben den Speziesismus mit all seiner Irrationalität, seinem Nihilismus, seiner Willkür und seiner exzessiven Selbstbezogenheit, dann bleiben wir gegen all die anderen Formen der Verachtung ohne Schutz.


Björn Freter, Dozent für Weltphilosophie, SOAS, University of London, UK, bf22@soas.ac.uk



Contempt begets contempt

Björn Freter, Lecturer for World Philosophy, SOAS, University of London


Speciesism seems to continue to be perceived as a rather marginal problem. Perhaps it is strange, with everything that plagues us in our everyday life, to also have to be concerned with the plight of chickens, pigs or salmon. This generosity is dangerous. At first it is dangerous, or more precisely: life threatening, for all those non-human animals who are exploited, tortured and murdered. However, this contempt is also dangerous for ourselves, for us human animals. Contempt, when it is accepted by society in one form, like it is widely accepted in speciesism, it is very likely that it will come to the fore in other forms as well. The line separating that which can legitimately be held in contempt and that which cannot is arbitrary. And if it is arbitrary, then it can also be arbitrarily moved, other lines can be arbitrarily drawn. The drawing of such lines thereby becomes nothing but the prerogative of the strongest power – whatever this strength may consist of. A strange regress to the principle of auctoritas, non veritas, facit legem (“Power, not truth, makes law.” Thomas Hobbes, Leviathan, 1668).


It is simply not justifiable as to why non-human animals should be of less value than a human animal. That is not to deny that differences can certainly be found. But why would these differences have normative consequences? Even if these differences enable the oppression of the respective other? The oppression of non-human animals by human animals or the oppression of female human beings by male human beings has proven possible. However, the existence of this possibility in no way legitimizes its realization. If possibility were to legitimize realization, then non-oppression could be justified using the same argumentation, as this is indeed also possible. Here we find a most important clue as to the interest of those who hold others in contempt. Contempt is motivated by selfishness, by the interest to be superior, to have that which someone else has, to not be troubled by the pain of the allegedly inferior other.

Contempt is not always easy to recognize, and it is not always indisputable as to whether a certain practice is contemptuous or not. But mustn’t we begin here? To avoid one practice of contempt will not advance us in the long term if contempt itself continues to be sanctioned socially and/or politically: for if a society accepts contempt, then it accepts arbitrary normative inferiorization, i. e. contempt. And this can then be directed against any people or any idea or any entity. If it is indeed an accepted social practice to normatively inferiorize and to hold others in contempt, then there is actually no compelling reason, apart from tired references to conventions, traditions, the (contingent) course of history and similarly toothless arguments, why one should not be allowed to display contempt for a Buddhist person, a female human being, a person with a disability, a cow, a herring, the idea of social justice or whatever else one chooses. Arbitrariness knows no argument against further arbitrariness.

Suddenly, we can understand that speciesist contempt is a problem that we cannot afford to continue to marginalize. In a society in which one contempt thrives, another contempt will sooner or later also thrive. There is a connection between all the different forms of superiorism – be it a sexist or a speciesist or a racist or any other one. If we allow ourselves to tolerate certain practices of normative arbitrariness, like speciesism with its irrationality, nihilism, arbitrariness, its excessive self-centeredness, we will leave ourselves unarmed against other forms of contempt.


Björn Freter, Lecturer for World Philosophy, SOAS, University of London, UK, bf22@soas.ac.uk



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