Es geht es um viel mehr als „schöne Mode“. Mich interessiert bei den Entwürfen für mein Label Odrowᶏż der künstlerische Prozess und das Experimentieren. Mir ist wichtig, Menschen auf Alternativen zur Massenproduktion gerade im Textilbereich aufmerksam zu machen, der für alle Beteiligten katastrophal ist. Mein Label verstehe ich als Gegenposition gegen die schmutzige Textilindustrie - durch Einsatz von Pflanzenfarben, Materialien aus Holz, Leinen und Loden. In meiner Arbeit fließen Design, Forschung, Technologie und handwerkliche Prozesse ineinander.
Meine Reise als Modedesignerin hat nicht zu den Laufstegen nach London, Paris oder Mailand geführt, sondern nach Kuba, Niger, Sri Lanka und die Mongolei, Orte, die man vielleicht nicht auf den ersten Blick mit Mode verbindet. Überall auf der Welt, selbst an den entlegensten Orten entsteht Mode, weil sie Teil kultureller Identität ist. Ich sehe im Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen große Chancen für gegenseitiges Lernen, Erhalt von Diversität und Ökologisierung textiler Produktion. In Workshop Projekten wie Crossing Fashion wende ich mich gegen die Globalisierung des Geschmacks und das Verschwinden vieler textiler und handwerklicher Traditionen und setze auf eine Gegenbewegung zu Billigimporten, die das Einkommen der heimischen ProduzentInnen sichert. Wir entwickeln hochwertige Produkte aus regionalem Know-How mit modernem Designanspruch, die beim South Asian Sustainable Fashion Summit oder bei der Expo in Dubai 2022 präsentiert werden. Die Kollektionen widersetzen sich dem klassischen Modebetrieb mit seinen kurzlebigen Trends und Schönheitsdiktaten. Es geht um die Verdichtung von Ideen. Das Design entwickelt sich völlig frei, mit einem künstlerischen, philosophischen Ansatz. Poetisch, modern und tragbar, abseits des Mainstreams. Nachhaltige Materialien werden neu interpretiert und kombiniert mit Jersey und Pflanzenseide aus Tencel und Netzen aus Modal.
Bei den Modellen, die Wolle enthalten, ist deutlich sichtbar, von welchem Schaf die Wolle stammt. Die persönliche Begegnung mit den Tieren war ein Wendepunkt für meine Verwendung von Wolle. Meine täglichen Spaziergänge während des 1.Corona-Lockdowns haben mich an einer Schafweide vorbeigeführt. Eines Tages ist mir ein Lamm zum Weidezaun zugelaufen, in dem ich meine Katze wiedergeboren glaube. In Folge habe ich mit den Schafbauern Kontakt aufgenommen und die Patenschaft für das Schaf übernehmen können, um es vor der Schlachtung zu bewahren. Seit einigen Monaten helfe ich täglich, die kleine Schafherde, die aus 10 Tieren besteht, zu betreuen.
Ich bin mit der Herde persönlich verbunden und kenne alle einzelnen Tiere. Nach vielen Stunden gemeinsamer Arbeit mit Freunden - vom Reinigen der Wolle bis zum Filzen des Wollvlieses - entstehen handgenähte Einzelstücke einer besonderen Kollektion: Mäntel, Umhänge und Stiefel in archaischen Schnittformen - das "Weidekleid", und ganz aktuell die “United Felt Collection”.
Der Prozess, den jedes Stück durchlaufen hat, bleibt nachvollziehbar; auf den Etiketten ist der Name des Schafes vermerkt, ebenso wie die Namen der Menschen, die an der Verarbeitung der Wolle beteiligt waren. Die aktuellen Kollektionen basieren also auf besonderen persönlichen Bezügen.
Jedes Schaf hat eine ausgeprägte Persönlichkeit und ich habe inzwischen die gesamte Herde in´s Herz geschlossen. Mein Paten-Schaf ist nun 1 ½ Jahre alt und ist der Persönlichkeit meiner Katze sehr ähnlich. Die Beziehung zu ihr ist innig, sie läuft mir zu und schmiegt sich an mich wie ein Haustier. Sie ist aber auch geheimnisvoll mit ihren tiefen Augen und genau wie die Katze an manchen Tagen scheu und eigenwillig. Ich hätte nie gedacht, dass die Beziehung zu Schafen diese Intensität haben könnte. Mein größter Wunsch ist, die Patenschaft für die ganze Herde zu übernehmen. Und ich möchte diese Geschichte hinaustragen als Liebeserklärung an die Seele der Tiere.
Neben der Arbeit an ihrem Label Odrowᶏż ist Bettina Reichl Mitbegründerin des Designfestivals „assembly“, kuratiert internationale und interkulturelle Modeprojekte wie z.B. Crossing Fashion und beschäftigt sich seit Jahren mit Forschungsprojekten rund um pflanzengefärbte Stoffe und biogenes Verpackungsmaterial.
Die Kollektion „Weidekleid“ wurde in einer archaisch-poetischen Synthese aus Modern Dance und Mode, Tier und Mensch, Wolle und Weide in einer Performance im Kunsthaus Graz präsentiert.
Fotos: © Marija Kanižaj
Avantgarde with sheep
It's about much more than "beautiful fashion". I'm interested in the artistic process and experimentation in the designs for my label Odrowᶏż. It is important to me to make people aware of alternatives to mass production, especially in the textile sector, which is disastrous for everyone involved. I understand my label as a counter-position against the dirty textile industry - by using vegetable dyes, materials made of wood, linen and loden. In my work, design, research, technology and artisanal processes are intertwined.
My journey as a fashion designer has not taken me to the catwalks of London, Paris or Milan, but to Cuba, Niger, Sri Lanka and Mongolia, places you might not at first associate with fashion. All over the world, even in the most remote places, fashion is created because it is part of cultural identity. I see great opportunities for mutual learning, preservation of diversity and ecologization of textile production in the encounter of different cultures. In workshop projects such as Crossing Fashion, I oppose the globalization of taste and the disappearance of many textile and handicraft traditions, and I am committed to a counter-movement to cheap imports that secures the income of local producers. We develop high quality products from regional know-how with modern design standards, which will be presented at the South Asian Sustainable Fashion Summit or at the Expo in Dubai 2022. The collections defy the classic fashion industry with its short-lived trends and beauty dictates. It is about the condensation of ideas. The design evolves completely freely, with an artistic, philosophical approach. Poetic, modern and wearable, away from the mainstream. Sustainable materials are reinterpreted and combined with jersey and plant silk from Tencel and nets from Modal.
In the models that contain wool, it is clearly visible from which sheep the wool comes. Meeting the animals in person was a turning point for my use of wool. My daily walks during the 1st Corona Lockdown took me past a sheep pasture. One day a lamb, in which I believe my cat is reborn, wandered up to the pasture fence to me. After this experience, I contacted the sheep farmers and was able to adopt the lamb to save it from slaughter. For several months I have been helping daily to care for the small flock of sheep, which consists of 10 animals.
I am personally connected with the herd and know all the individual animals. After many hours of joint work with friends - from cleaning the wool to felting the wool fleece - hand-sewn individual pieces of a special collection are created: coats, capes and boots in archaic cut shapes - the "Weidekleid", and very recently the "United Felt Collection".
Each sheep has a distinct personality and I have come to love the entire flock. My god-sheep is now 1 ½ years old and is very similar to the personality of my cat. The relationship with her is intimate, she runs to me and snuggles up to me like a pet. However, she is also mysterious with her deep eyes and just like the cat, shy and headstrong some days. I never thought that the relationship with sheep could have this intensity. My greatest wish is to adopt the whole flock. And I would like to share this story as a declaration of love to the soul of the animals.
In addition to working on her label Odrowᶏż, Bettina Reichl is co-founder of the design festival "assembly", curates international and intercultural fashion projects such as Crossing Fashion and has been involved for years with research projects around plant-dyed fabrics and biogenic packaging materials.
The collection "Weidekleid" was presented in an archaic-poetic synthesis of modern dance and fashion, animal and human, wool and willow in a performance at Kunsthaus Graz.
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