Haben Menschen Gefühle?
- Aurelia Pangolini
- 25. Sept.
- 5 Min. Lesezeit

Vor Kurzem hat mich wieder einmal ein Posting beeindruckt, das einfach fragte: „Don’t ask if animals have feelings. Ask if humans do.“ Frag nicht, ob Tiere Gefühle haben, frag, ob Menschen welche haben. Das klingt vielleicht simpel. Ist es aber nicht. Daher bin ich der Frage nachgegangen.
Wenn es um die Verfügbarkeit von Tieren für menschlichen Nutzen geht, wird meist mit den Unterschieden zwischen Menschen und Tieren argumentiert. Der Vergleich fällt – wenig überraschend – fast immer zugunsten der Menschen aus. Sie sind ganz einfach die komplexeren Wesen, so die Ansicht vieler Menschen. Und für dieses vermeintlich so überlegene Wesen können Tiere ruhig geopfert werden. Die Intensität der Lebenserfahrung von Tieren wird von vornherein abgewertet - trotz zahlreicher Gegenbeweise, etwa die Verständigung darüber, wann Früchte reif sind. Um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen, das sicher die eine oder der andere schon selbst erlebt hat.
Im Vergleich mit menschlichen Erfahrungen können Tiere angeblich nicht mithalten. Denn, so eine beliebte Begründung, sie können ja nicht einmal menschlich kommunizieren. Deswegen kann man sich fragen: Haben Tiere überhaupt Gefühle? Haben sie Angst? Haben sie eine Vorstellung vom Tod? Lieben sie ihre Kinder?
(Dazu fällt mir ein Zitat von Mark Twain ein: “Es ist typisch für die Eitelkeit und Unverschämtheit des Menschen, ein Tier als dumm zu bezeichnen, nur weil es für seine begrenzten Wahrnehmungen dumm ist.”)
Selbstverständlich ist es wichtig, zu überlegen, was andere, nicht menschliche Lebewesen empfinden. Heute möchte ich aber, im Sinne des oben genannten Postings, die Sache umdrehen. Welche Art von Gefühlen haben Menschen? Nehmen sie ihre Gefühle wahr? Im Zusammenhang mit dem Umgang mit den vermeintlichen „Nutztieren“ scheint dies oft nicht der Fall zu sein, sonst würden viel mehr Menschen auf Lebensmittel aus tierlicher Ausbeutung verzichten.
Zahlreiche Studien zeigen, dass Menschen Tiere gerne mögen und oft ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie tierliche Lebensmittel verwenden. Denn die meisten haben Mitleid, wenn sie sich vorstellen, dass Tiere gequält und getötet werden, nur damit Menschen ein paar Minuten Genuss haben. Warum sie trotzdem weitermachen? Viele reden sich selbst ein, das Verhalten sei normal. Außerdem ist es gesellschaftlich und traditionell anerkannt. An anderer Stelle werde ich einmal näher darauf eingehen, was das überhaupt bedeutet für eine Gesellschaft, wenn es ok ist, andere empfindungsfähige Lebewesen in fortlaufender Maschinerie zu töten. Das Ausmass an akzeptierter Grausamkeit ist zutiefst verstörend.
Ich habe schon oft mit GesprächspartnerInnen versucht herauszufinden, was dahinter steckt. Vielen Menschen ist die Schieflage von eigenen Gefühlen und Handlungen bewusst. Diese kognitive Dissonanz rechtfertigen sie zum Beispiel so: „Ich esse nur sehr wenig Fleisch – und wenn, dann nur bio“. Oder verschieben die Verantwortung: „Die Produktion muss sich umstellen, die KonsumentInnen haben keinen Einfluss“.
Besonders erstaunlich ist die gar nicht so selten geäußerte Meinung, Kühe seien Tiere, die von sich aus, ohne Anlass, Milch produzieren: „Kühe müssen gemolken werden, sonst leiden sie.“ Dass ein Kälbchen dazugehört, scheint vergessen zu sein. Der Zusammenhang von erzwungener Schwangerschaft, Geburt und Milchproduktion wird einfach ausgeblendet. Solche Argumentationen führen dazu, dass die eigentliche Frage immer vermieden werden kann. Die eigentliche Frage ist: Wie geht es dir wenn du an Tiere denkst? Wenn du mit ihnen zusammen bist? Was fühlst du, wenn sie schlecht behandelt oder getötet werden?
Über den Zusammenhang zwischen dem Verhalten gegenüber Tieren und gegenüber Menschen wurde schon viel geschrieben. Einfühlung ist dabei wesentlich, und auch ganz natürlich. Und es geht nicht darum, Tiere über Menschen zu stellen, sondern die Härte in der Begegnung abzulegen, die Leid für beide hervorbringt – damit eine Welt entstehen kann, in der Raum für Mitgefühl und Mut zur Schönheit entsteht und bleibt.
“Was nützen Überzeugungen und Werte, wenn wir nicht für erstere einstehen und nach letzteren leben?” fragt Colleen Patrick-Goudreau. Eine gute Frage, die daran erinnert, dass es immer um’s Tun geht.
P.S. Diesen Text habe ich so ähnlich schon einmal im Ethikguide veröffentlicht.
Do Humans have Feelings?
Recently, I was once again struck by a post that simply asked: ‘Don't ask if animals have feelings. Ask if humans do.’ That may sound simple, but it isn't. So I decided to explore the question further.
When it comes to the availability of animals for human use, the differences between humans and animals are usually used as an argument. Unsurprisingly, the comparison almost always favours humans. They are simply the more complex beings, according to many humans. And animals can be sacrificed for the sake of these supposedly superior beings. The intensity of animals' life experiences is devalued from the outset – despite numerous counterexamples, such as their ability to understand when fruit is ripe. To name just one recent example that some of you may have experienced yourselves.
Animals supposedly cannot compare to human experiences. According to a popular argument, they cannot even communicate in a human way. This raises the question: Do animals even have feelings? Are they afraid? Do they have a concept of death? Do they love their children?
(This reminds me of a quote from Mark Twain: ‘It is just like man’s vanity and impertinence to call an animal dumb because it is dumb to his dull perceptions.’)
Of course, it is important to consider what other, non-human beings feel. But today, in line with the above post, I would like to turn the question around. What kind of feelings do humans have? Are they aware of their feelings? When it comes to dealing with so-called ‘farm animals’, this often does not seem to be the case, otherwise many more people would refrain from consuming food produced through the exploitation of animals.
Numerous studies show that humans like animals and often feel guilty when they consume animal products. This is because most humans feel compassion when they imagine animals being tortured and killed just so that humans can enjoy a few minutes of pleasure. Why do they continue to do so anyway? Many convince themselves that this behaviour is normal. It is also socially and traditionally accepted. Elsewhere, I will discuss in more detail what it means for a society when it is okay to kill other sentient beings in a continuous cycle. The extent of accepted cruelty is deeply disturbing.
I have often tried to find out what lies behind this. Many humans are aware of the discrepancy between their own feelings and actions. They justify this cognitive dissonance, for example, by saying, ‘I eat very little meat – and when I do, it's only organic.’ Or they shift the responsibility: ‘Production has to change; consumers have no influence.’
Particularly startling is the not-so-rare opinion that cows are animals that produce milk on their own, without any reason: ‘Cows must be milked, otherwise they suffer.’ The fact that a calf is part of the process seems to be forgotten. The connection between forced pregnancy, birth and milk production is simply ignored. Such arguments mean that the real question can always be avoided. The real question is: How do you feel when you think about animals? When you are with them? How do you feel when they are mistreated or killed?
Much has been written about the connection between how we treat animals and how we treat humans. Sensitivity is essential here, and also entirely natural. And it is not about placing animals above humans, but about abandoning the harshness in our encounters that causes suffering for both – so that a world can be created in which there is room for compassion and the courage to embrace beauty.
“What’s the point of having beliefs and values if we don’t stand up for the former and live by the latter?” asks Colleen Patrick-Godreau.
A good question, which reminds us that it's always about taking action.
P.S. I have published a similar text in Ethikguide.
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